Artificial Intelligence (AI) in KMUs – Ein vorübergehender Trend?
Seit der Vorstellung der GPT-Modelle des US-amerikanischen Unternehmens OpenAI, v.a. der bekannten Consumer-Variante „ChatGPT“, läuft der AI-Hype-Train auf Hochtouren. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein weiterer Durchbruch der Large Language Models (LLM) gefeiert, die Millionenfinanzierung des nächsten AI-Unicorns bekanntgegeben, oder die neuesten AI-basierten Features in den Produkten der Tech-Konzerne beworben werden.
Viele Unternehmer fragen sich, wie sie AI in ihren geschäftlichen Alltag integrieren können. Dabei wird dennoch oft die Reichweite der neuen Entwicklungen unterschätzt. Ein Chat-Bot für die Unternehmenswebsite ist schnell integriert und gerade KMUs scheinen sich mit solch naiven Einsatzgebieten gerne zufrieden zu geben. Man hat ja nun auch AI im Einsatz. Alles gut, business as usual, weitermachen. Oder?
Mitnichten. Was die Technologiewelt gerade erlebt, ist nichts Geringeres als eine fundamentale Revolution, die in ihrer Tragweite der Erfindung des World Wide Web nahekommt. Die jüngsten Durchbrüche werden weiter befeuert durch immer neue Milliardeninvestitionen, und das Tempo der Innovation nimmt kontinuierlich zu. OpenAI’s GPT ist mittlerweile mit gewaltiger finanzieller Unterstützung von Microsoft bei Version 4 angekommen, Google hat kürzlich ihr Konkurrenzprodukt Gemini vorgestellt, Amazon’s AWS bietet Amazon Q an für den Unternehmenseinsatz, Meta re-allokiert gerade unzählige Millionen Dollar vom scheinbar gescheiterten Metaverse zur AI-Entwicklung, und zahlreiche kleinere Unternehmen wie Anthropic oder Perplexity zeigen sich ebenfalls konkurrenzfähig.
Was hat das alles mit deutschen KMUs zu tun?
Wer bei der „Internet-Revolution“ der 90er und 00er Jahre dabei war, erinnert sich daran, wie nach und nach die Websites bekannter Unternehmen mit rudimentärer Funktionalität online gingen. Jahre vergingen bis zu den ersten wirklich nützlichen Online-Shops und bis schließlich auch der kleine Bäcker um die Ecke eine Online-Präsenz erstellen ließ oder der Zahnarzt begann Online-Terminbuchungen anzubieten.
Dieses „Tempo“ mag es sein, was viele in den Führungsebenen von deutschen KMUs auch heute erwarten. Erst einmal abwarten, vielleicht geht der Hype ja bald wieder vorbei. Angesichts der Entwicklungen, die wir nun sehen, wird sich diese Einstellung als ein buchstäblich fataler Fehler herauskristallisieren. Unternehmen, die heute ernsthafte Investitionen in AI durchführen, haben bereits zwangsläufig eine Transformation durchgemacht, mit der viele deutsche KMUs noch nicht einmal begonnen haben: Sie arbeiten vollständig digital und datengetrieben.
Die absolute Grundvoraussetzung für den sinnvollen Einsatz von AI ist das Vorhandensein einer kohärenten und umfangreichen Datenbasis. AIs können nur mit einem Fundament aus Fakten und „Erfahrungen“ arbeiten. Während Menschen dazu neigen, fantasievoll Daten zu erfinden, um ihre ohnehin vorgeprägten Meinungen zu bestätigen (das sogenannte „Bauchgefühl“, ein verbreitetes Managementkonzept in KMUs), kann das eine AI nur sehr schlecht, bzw. wird sie sehr schnell entlarvt, wenn sie dies versucht. Von einer Maschine erwartet man schließlich – im Gegensatz zu einer menschlichen Führungskraft - 100 % Korrektheit. Sicherlich sind gutes Bauchgefühl, Intuition oder natürliche Führungsfähigkeit starke Faktoren für den Erfolg. Damit allein eine Mustererkennungsmaschine mit übermenschlicher Speicherkapazität outperformen zu wollen, ist allerdings illusorisch.
Die Frage, die sich KMUs heute stellen müssen ist nicht, ob sie AI einsetzen sollen. Vielmehr ist jetzt der spätestmögliche Zeitpunkt, sich zu fragen, ob man AI einsetzen kann. Ist die Antwort darauf nämlich ein „nein“, dann liegt das nicht mehr an der mangelnden technischen Möglichkeit, der Verfügbarkeit, oder der finanziellen Machbarkeit. Es liegt schlichtweg daran, dass man die Digitalisierung verschlafen hat.
Was geht?
Verfügbar und möglich ist heute Vieles, was vor nur wenigen Jahren als Science-Fiction galt. Computer, die Sonette schreiben, sind beeindruckende Spielzeuge. LLMs, die Hollywood-Drehbücher entwickeln, sind schon eher Streikursachen. Machine Learning-Applikationen, die auf Terabytes unstrukturierten Geschäftsdaten prädiktive Analysen in Sekunden durchführen sind existenzbedrohend für eine ganze Reihe von Wirtschaftszweigen und ein unmöglich zu überschätzender Wettbewerbsvorteil in einem globalisierten Markt.
Selbst noch vor Monaten gegründete Startups im AI-Sektor werden von der technologischen Entwicklung überrannt. Die nächste Welle von Firmenpleiten ist bereits mit der nächsten Pressemitteilung von OpenAI abzusehen, wenn wieder einmal AI-Features, deren Erstellung noch vor kurzem eine ganze Softwareentwicklungsabteilung benötigt hat, im 22-Dollar-pro-Monat-Abo von ChatGPT Plus enthalten sind.
Ein einziges Unternehmen kann innerhalb seiner Branche durch umfassenden, strukturiert geplanten und stringent durchinvestierten Einsatz von AI seine weniger technologisierte Konkurrenz aus dem Feld schießen. Es geht hier nicht um „Kunden, die Milch gekauft haben, interessieren sich auch für Babywindeln“. Hier geht es beispielsweise um die vollumfängliche Analyse von Kundendaten, Mustererkennung und valide Vorhersagen über Kaufverhalten, bevor es die Kunden selbst wissen: „Kunden, die im letzten Jahr hellblaue Buttons zu 83,6 % bevorzugt haben und deren Partner noch im Februar einen Wollpulli gekauft haben, brauchen dieses Jahr am 13. Dezember 28 Windeln. Überraschung!“
Und weit darüber hinaus: Jegliche Art von repetitiven Aufgaben – bald auch immer mehr in der physischen Welt, siehe Boston Dynamics – können AIs schlichtweg viel besser, effizienter, sicherer und vor allem billiger erledigen als Menschen. Call Centers, in denen Menschen Telefonanrufe nach Flussdiagrammen beantworten, werden bald auf die gleiche Weise in Vergessenheit geraten wie Sekretär:in „zum Diktat“. Sobald ein Arbeitsplatz nur eine verschwindende Menge an Kreativität erfordert, schwebt er in Gefahr von AI überflüssig gemacht zu werden.
Dies schließt sogar die Erschaffer dieser neuen Technologie selbst ein, die Softwareentwickler. Ein großer Teil der heutigen Softwareentwicklung ist nicht mehr als das Schreiben von „Glue Code“, also das Zusammenkleben verschiedener Schnittstellen mit immer ähnlichen Zeilen Code. Die größte Entwicklerplattform GitHub – übrigens auch in der Hand von Microsoft – bietet bereits seit längerem AI-Unterstützung im Abo an. Einfache Aufgabenstellungen kann man damit mit dem Kaffee in einer Hand und der Tab-Taste in der anderen erledigen, während man AI-generierte Fake-Videos auf YouTube konsumiert. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Tab-Taste vollautomatisiert wird. StackOverflow, das bekannteste und lange Zeit wichtigste Entwicklerforum, steht bereits jetzt am Rande der Bedeutungslosigkeit. ChatGPT beantwortet jede Frage eines Softwareentwicklers mit weniger Häme und weit mehr Geduld als StackOverflow-Veteranen.
Es erfordert nicht viel Fantasie, sich die schiere Menge an Arbeitsplätzen vorzustellen, die sich Unternehmen mittels AI einsparen und damit gewaltige Effizienz- und Kostenvorteile gegenüber ihrer nicht “AI-isierten” Konkurrenz erzielen können. Ja, es gibt Vorhersagen, dass AI viele Arbeitsplätze schaffen wird, und dies ist durchaus plausibel. Zuvor jedoch werden wir eine schmerzhafte Übergangsphase sehen, die vieles überflüssig machen wird, was man heute als selbstverständlich nötig ansieht. Wie kreativ ist eigentlich Ihr Steuerberater jeden Tag?
Aber doch nicht heute!
Dies alles sind keine Fieberträume eines Technokraten. Die Technologien sind bereits seit langem im Einsatz, wenngleich sie nur für spezialisierte Industrien mit entsprechender Kompetenz und vor allem finanziellen Mitteln verfügbar waren. Machine Learning arbeitet im Gesundheitswesen, beeinflusst Börsenkurse und hat Milliarden über Milliarden erwirtschaftet mit der Personalisierung von Werbung. Die Revolution, das schlagartig neue, ist die breite und preiswerte Verfügbarkeit und die beeindruckende Generalisierung und Bedienerfreundlichkeit der modernen AI-Modelle.
Was also sollen KMUs nun tun? Steht die Digitalisierung erst am Anfang, dann muss diese jetzt mit der gebotenen Dringlichkeit umgesetzt werden. Expertinnen und Experten für digitale Transformation sind in der Lage, die größten Probleme in kurzer Zeit anzugehen und aus dem Weg zu schaffen. Weitaus schwieriger ist die "kulturelle" Transformation hin zu datengetriebenen Entscheidungswegen. Das effizienteste Vorgehen für diese fundamentale Richtungsänderung ist unserer Erfahrung nach die Einbindung von Interim Managern, die ohne kulturelle Vorbelastung auch grundlegende Neuausrichtungen bei hoher Akzeptanz bei den Mitarbeitenden durchsetzen können.
Bekanntermaßen, wenngleich nicht belegt, soll Thomas J. Watson, der CEO von IBM gesagt haben, dass die Größe des Weltmarkts für PCs bei etwa 5 Stück liegt. Der Niedergang von IBM dauerte danach etwa ein halbes Jahrhundert. Wer nicht an den Erfolg des WWW glaubte, hatte bereits deutlich weniger Zeit, seinen eigenen Untergang zu feiern, aber zumindest reichte es noch für ein paar VHS-Videos von Blockbuster. Extrapoliert man diesen Tempozuwachs auf die neueste AI-Revolution, wird den Technologie- und AI-Skeptikern nicht einmal mehr Zeit bleiben für ein leises „I’ll be back“.